Yeziden-Vertreter befürchtet bis zu 600 Tote nach Anschlägen im Nordirak

Hilfsorganistion WADI Österreich fordert effektiven Schutz von Minderheiten

Beim schwersten Anschlag dieses Jahres wurden gestern Abend mindestens 200 – Yeziden-Vertreter sprechen von bis zu 600 – Angehörige der religiösen Minderheit der Yezidi im Irak ermordet.

Nachdem die beiden Gemeinden Tal Asir (arabisch: Kataniya) und Siba (arabisch: Al-Gazira) seit Wochen von jeder Lebensmittellieferung abgeschnitten waren, fuhren gestern um 19.00h Ortszeit vier LKWs vor. Die Bevölkerung, die glaubte, dass es sich dabei um Lebensmittellieferungen handeln würde, rannte auf die LKWs zu, die in diesem Moment gesprengt wurden. Autos mit mitgeführten Raketenwerfern beschossen daraufhin die Dörfer. Die großteils aus Lehm gebauten Häuser boten keinerlei Schutz für die flüchtende Bevölkerung. Insgesamt wurden in beiden Gemeinden 150 Häuser durch die Explosionen und die Raketenangriffe zerstört.

Mirza Dinnayi, ehemaliger Minderheitenberater des irakischen Staatspräsidenten Talabani und Koordinator der „Yezidi Democratic Community“ in Deutschland, vermutet noch weit mehr Tote als die bisher gemeldeten 200 Toten: „Ich telefoniere seit gestern ständig mit unseren Freunden im Irak. Alle Informationen, die ich direkt von dort habe deuten darauf hin, dass es zwischen 300 und 600 Tote sind.“

Verschärft wird die Lage noch durch mangelnde Kapazitäten im Krankenhaus der Regionalhauptstadt Sinjar, das lediglich über Kapazitäten für 30 bis 40 Betten verfügt.

Etwa ein Prozent der irakischen Gesamtbevölkerung gehört den Yezidi an. Die Religionsgemeinschaft, die im Gegensatz zu Christen- und Judentum von Muslimen nicht als Buchreligion betrachtet wird (und damit nicht dem islamischen Schutzgebot untersteht) wurde in den letzten Jahren immer wieder zum Angriffsziel radikaler Islamisten, die sie als „Teufelsanbeter“ denunzierten. Die meisten Yezidi leben in der zentralirakischen Provinz Ninive sowie in der kurdisch verwalteten Provinz Dohuk. Das Gebiet um Sinjar, nahe der syrischen Grenze, zählt traditionell zu einem der wichtigsten Siedlungsgebiete der Yezidi. Eine Arabisierungkampagne des Bath-Regimes unter Saddam Hussein, zwang jedoch die Mehrheit der dort lebenden Yezidi, ihre traditionellen Bergdörfer zu verlassen und sich in staatlich kontrollierten „Kollektivstädten“ anzusiedeln. Auch die beiden nun angegriffenen Gemeinden gingen aus solchen Zwangsansiedlungen hervor.

Ethnische und religiöse Minderheiten, die über kein von ihnen kontrolliertes Territorium verfügen, wurden in den letzten zwei Jahren generell vermehrt zum Ziel von Anschlägen und Angriffen. Die in London ansässigen Menschenrechtsgruppe „Minority Rights Group International“ hatte bereits im Februar erklärt, dass einige Gemeinschaften, die seit 2000 Jahren im Irak lebten, jetzt vor der Vernichtung stünden.

Auch Mirza Dinnayi, als ehemaliger Minderheitenberater Talabanis ein ausgezeichneter Kenner der Lage vor Ort, kritisiert den mangelnden Schutz der Minderheiten: „Es gibt keinen Schutz für die kleinen Minderheiten. Wir haben seit Monaten an die kurdischen und irakischen Behörden appelliert jetzt vor dem Kirkuk-Referendum den Schutz für die Minderheiten zu erhöhen. Leider ist bislang nichts in diese Richtung geschehen.“

Entsetzt ist Dinnayi auch über die Kommentare, die er auf manchen arabischen Websites zum gestrigen Anschlag lesen kann. „Auf der Website der Fernsehstation al-Arabiya bejubeln ein Viertel der Kommentare im Online-Forum den gestrigen Anschlag. Hier wird offen gesagt, dass die ‚Teufelsanbeter‘ weg sollen und niemand von der Redaktion löscht diese Einträge.“

Der Hass auf Yezidi sei unter militanten Islamisten im Irak so weit verbreitet, dass es ständig zu Morden komme. Erst vor fünf Tagen wurden in al-Rashad, in der Nähe von Kirkuk, zwei junge Yezidi auf offener Straße zu Tode gesteinigt. Die irakischen Sicherheitskräfte hatten es nicht gewagt dagegen einzugreifen. Selbst die Leichen der Ermordeten wurden bis vorgestern nicht zur Bestattung abtransportiert.

Die Kritik yezidischer Vertreter am mangelnden Schutz ihrer Angehörigen im Irak wird auch von Christen, Mandäern und Shabak, die ebenfalls ständig Opfer ethnisierter Gewalt werden, geteilt.

Der Wiener Politikwissenschafter und Obmann der im Irak tätigen österreichischen Hilfsorganisation WADI, Thomas Schmidinger, sieht die Minderheiten besonders von der gegenwärtigen Gewalt betroffen: „Die Ethnisierung der Gewalt im Irak trifft die kleinen Minderheiten, die ihren Schutz nicht selbst durch bewaffnete Kräfte organisieren können, in besonderem Maße. Je länger diese Form der Gewalt anhält, desto schwieriger wird es für die Minderheiten im Irak zu überleben.“

Dabei hält Mirza Dinnayi den Schutz der Yezidi nicht für ein Ding der Unmöglichkeit: „Insbesondere in der Sinjar-Region wäre das kein Problem. Hier sind 90% der Bevölkerung Yezidi. Wäre der politische Wille vorhanden, könnten sie militärisch geschützt werden.“ Der Koordinator der „Yezidi Democratic Community“ in Deutschland fordert deshalb explizit einen UNO-Einsatz zum Schutze der Minderheiten im Irak. Europäische Truppen unter UNO-Mandat sollten, so Mirza Dinnayi, die Minderheiten in ihren Gebieten schützen.

Mary Kreutzer, Projektkoordinatorin der im Irak tätigen Hilfsorganisation WADI Österreich, fordert Verantwortung von der EU: „Europa soll endlich die Tore für irakische Flüchtlinge, die zu Hunderttausenden in Syrien und Jordanien ausharren, öffnen. Diese beiden Länder sind mit den Flüchtlingen überfordert. Europa hat deshalb seine historische Verantwortung für den Irak wahrzunehmen.“

Öffentliche Hinrichtung in Teheran

Erstmals seit fünf Jahren fand heute in der iranischen Hauptstadt Teheran wieder eine öffentliche Hinrichtung statt. Zwei Männer waren zum Tode verteilt worden, weil sie 2005 einen konservativen Richter ermordet haben sollen.

Die Hinrichtung fand am zweiten Jahrestag der Tat am Ort des Verbrechens im Zentrum Teherans statt. Der ermordete Richter war für viele politisch motivierte stark kritisierte Urteile verantwortlich. Unter anderem hatte er den prominenten Regierungskritiker Akbar Gandschi zu sechs Jahren Haft verurteilt. Erst am Mittwoch waren in der ostiranischen Stadt Maschad sieben verurteilte Straftäter öffentlich hingerichtet worden. Allein im Juli wurden in Teheran 12 Todesurteile vollstreckt.

Menschenrechtsorganisationen, Politiker und NGOs üben nun scharfe Kritik. Die im Nahen Osten tätige Hilfsorganisation WADI kritisierte heute die Hinrichtungen als „barbarischen Akt der durch nichts gerechtfertigt ist“. „Mit der derzeitigen Hinrichtungswelle im Iran scheint die derzeitige Regierung die Zeit wieder zurückdrehen zu wollen und spärlichen Liberalisierungsschritte unter Präsident Khatami wieder rückgängig zu machen.“ kritisierte WADI-Obmann Thomas Schmidinger und forderte zugleich die OMV auf, ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Iran zu nutzen um auf die iranische Führung mäßigend einzuwirken: „Der Iran will mit Europa Geschäfte machen. Die OMV hätte mit ihrem Deal mit dem Iran die Möglichkeit hier ihr ökonomisches Gewicht in die Waagschaale zu werfen.“ Einen ähnlichen Appell hatte vor Kurzem die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek, im Zusammenhang mit den beiden Journalisten beiden Journalisten Adnan Hassanpour und Abdolvahed „Hiwa“ Botimar an die OMV gerichtet, die alljährlich gemeinsam mit „Reporter ohne Grenzen“ den „Press Freedom Award“, einen Menschenrechtspreis für engagierte JournalistInnen, vergibt. Die kurdischen Journalisten wurden aus politischen Gründen zum Tode verurteilt und befinden sich derzeit an einem unbekannten Ort wo ihnen Folter und Mißhandlungen drohen.

WADI-Obmann Schmidinger, der erst vor Kurzem Iranisch-Kurdistan bereiste: „In den kurdischen Gebieten des Iran ist die staatliche Repression wesentlich präsenter als in anderen Teilen des Landes. Aufgrund der hier sehr stark präsenten Oppositionsgruppen geht das Regime mit besonderer Härte gegen kurdische Intellektuelle vor.“

Seit der Machtübernahme Mahmud Ahmedinejads als iranischem Präsidenten hat sich die Praxis der Todesstrafe im Iran wieder deutlich verschärft. In diesem Jahr wurden im Iran bereits mindestens 151 Menschen hingerichtet. Vor allem in Provinzstädten werden Todesurteile immer wieder öffentlich vollstreckt. Im Iran können außer Mord unter anderem Vergewaltigung, Ehebruch, Landesverrat, Spionage, homosexuelle Handlungen und Drogenhandel mit der Todesstrafe geahndet werden.