Proteste und Repression in Irakisch-Kurdistan eskalieren

In der Region aktive Hilfsorganisation LeEZA zeigt sich besorgt

Nachdem in Arbil/Hawler, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion des Irak, das Parteibüro der Oppositionspartei Gorran am Donnerstag, den 17. Februar 2011, in Brand gesetzt wurden und bei Protesten in Suleymania, der zweitgrößten Stadt Irakisch-Kurdistans, Sicherheitskräfte der Kurdischen Regionalregierung in die demonstrierende Menge geschossen hatten und dabei den 14 Jahre alten Rezhwan Ali töteten und über 50 ZivilistInnen verletzten, kam es am Freitag und Samstag zu weiteren Protesten gegen die zunehmend autoritärer agierende Regierung unter der Führung Masud Barzanis und der von seinem Clan geführten Demokratischen Partei Kurdistans (PDK).

Suleymania, das als Hochburg der Oppositionspartei Gorran und des PDK-Koalitionspartners PUK bekannt ist, wurde in Folge dieser Proteste in der Nacht von Freitag auf Samstag von Einheiten der „Zeravani“, einer von der PDK kontrollierten militärischen Polizei, besetzt. Die Zeravani versuchen die von der Kurdischen Regionalregierung KRG verhängte Ausgangssperre durchzusetzen. Trotzdem kam es heute erneut zu Protesten, bei denen mindestens acht DemonstrantInnen verletzt wurden. Am Abend kam es auch in der Stadt Darbandikhan zu Demonstrationen. In Shaqlawa wurde hingegen in den Abendstunden das örtliche Büro der Oppositionspartei Gorran von bisher Unbekannten in Brand gesetzt.

Heute begannen die Behörden auch mit der Einschüchterung prominenter Intellektueller, die es gewagt hatten, gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte zu protestieren.

Gegen den Philosophen Faruq Rafeq, dessen Think tank ‚Xane Hikmet‘ (Haus der Weisheit) in den letzten Jahre immer wieder internationale wissenschaftliche Konferenzen veranstaltet hat, an denen Intellektuelle und PolitikerInnen aus dem Irak, Europa und dem Nahen Osten teilnahmen, wurde ein Haftbefehl ausgestellt.

Im Herbst 2009 sprach auch der österreichische Politikwissenschafter Thomas Schmidinger an einer von Xane Hikmet organisierten Konferenz zum Thema Säkularismus. „Damals war Faruq Rafeq noch von den Kurdischen Behörden akzeptiert“ schildert Schmidinger: „An der Konferenz nahmen auch hochrangige Politiker der PUK und die Frau des irakischen Präsidenten, Hero Talabani, teil. Bei meiner letzten Begegnung im September 2010 schilderte mir Faruq Rafeq jedoch bereits, dass er zunehmend Schwierigkeiten mit den Behörden hätte. Die öffentliche Förderung von Xane Hikmet wurde bereits abgedreht, der geplante Tagungsband zur Konferenz von 2009 konnte nie erscheinen.“

Gegen Faruq Rafeq wurde heute ein Haftbefehl erlassen, nachdem er sich an den Protesten gegen das Vorgehen der Kurdischen Regionalregierung beteiligt hatte. Neben Faruq Rafeq wurde auch gegen Musana Amin, ein Mitglied des Schurarates der Islamischen Union Kurdistans, ein Haftbefehl erlassen.

Die österreichische Hilfsorganisation LeEZA, die seit Jahren in der Region Projekte der emanzipatorischen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt, äußert sich besorgt über diese Vorgangsweise der Behörden und fordert die Kurdische Regionalregierung dazu auf, die Gewalt gegen DemonstrantInnen einzustellen, ihre Spezialkräfte aus Suleymania zurückzuziehen und politische Gefangene sofort und unversehrt zu entlassen. LeEZA-Obfrau Mary Kreutzer: „Wenn die Kurdische Regionalregierung nicht auf einen Dialog mit der Opposition einsteigt und eine friedliche Demokratisierung des Systems zulässt, fürchte ich um die Zukunft des Kurdischen Autonomiegebietes und all dessen, was hier seit 1991 aufgebaut wurde.“

Bildtext: faruq
Foto: ©Mary Kreutzer.
Fotountertitel: Der kurdische Philosoph Faruq Rafeq im Gespräch mit Thomas Schmidinger, Suleymania September 2010.